Über mich

Lieber Thomas,

eben ziehe ich aus meinem Briefkasten die Einladungskarte zu Deiner Ausstellung in Bad Säckingen. Schon nach kurzem Betrachten sehe ich, daß das Bild auf der Einladungskarte ganz bestimmt HANGLANDSCHAFT, ODER: DER TRAUM DER INGENIEURE heißt. Denn das ist ja auf dem Bild zu sehen.
Zuerst erkennt man nämlich den HANG, der anscheinend ziemlich groß ist, mit dem Himmel darüber. Wie man an den gelben und roten Flecken auf der Horizontlinie des Hangs erkennen kann, geht dahinter die LANDSCHAFT noch weiter. Man weiß zwar nicht, wie sie aussieht, aber ich glaube nicht, daß dahinter eine große Stadt oder überhaupt eine Stadt liegen könnte. So sieht der Hang nämlich nicht aus. Ich glaube eher, dass es dahinter ziemlich ähnlich aussieht. Deshalb stellt das Bild nicht nur einen Hang, sondern eine HANGLANDSCHAFT dar.
Der HANG selbst ist in braunen erdfarbenen Farben gemalt, denn ein Hang ist ja aus Erde. Auf dem Hang sind sehr waagerechte weiße Streifenflecken zu sehen, die gar nicht zu einer Schräglage passen. Man könnte sagen, daß man daran erkennt, daß dies GAR KEIN RICHTIGER HANG, sondern NUR EIN BILD ist. Aber ich glaube eher, daß dies Spuren von Planierraupen oder etwas Ähnlichem sind. Man muß sich nur klarmachen, daß ja auch Ingenieure, wenn sie Planierraupenspuren ziehen lassen, sich nicht nach der natürlichen Hanglage richten, sondern nur nach ihren geometrischen Plänen. Einige Aspekte des Bildes legen es auch nahe, daß in diese Spuren WEISSER KALK gestreut wurde.

Die ROTEN ZEICHNUNGEN auf dem Hang zeigen, glaube ich, Reste einer alten Kultstätte. Und weil es so etwas IN DEUTSCHLAND ja gar nicht mehr gibt, nur noch IN AMERIKANISCHEN FILMEN, glaube ich, dass es sich um eine sehr alte, fast vergessene indianische Begräbnisstätte in Amerika handelt. Daher weiß man auch schon, daß die Ingenieure, die aus einer fernen, großen Stadt gekommen sind, um hier mitten in der ihnen fremden Landschaft eine neue Fabrik zu bauen, mit ihrem Unternehmen nicht viel Glück haben werden. Denn über dem Gelände liegt der Fluch der alten Indianer, der IHRE TOTEN SCHÜTZT. Deshalb werden auch die Arbeiter dieser Fabrik, wenn der Bau den Ingenieuren überhaupt glückt, später ständig an rätselhaften Bauchschmerzen oder so etwas leiden und sehr unglücklich sein.

Die SCHWARZEN FLECKE auf dem Hang sind sicher die Blumen oder Pflanzen, die dort wachsen. Aber es sind TOTE SAMEN, denn der Fluch der Indianer ist seit der Berührung der Ingenieure über diesen Hang verhängt. Deshalb ist die ganze Anstrengung der Ingenieure, den Hang unfruchtbar zu machen, auch völlig nutzlos.
Die Ingenieure haben nämlich am Hang eine GROSSE MASCHINE aufgebaut, die sich gegen den Himmel abzeichnet. Diese Maschine besteht aus sehr dünnen Stäben, die vermutlich aus einem flexiblen Leichtmetall, wahrscheinlich Aluminium sind, und einem durchsichtigen Kunststofftuch. Es ist nämlich ein großer, SAUGSACK, der den Samen der Blumen und Pflanzen der Blumen des Hangs einsaugen soll, damit der Hang unfruchtbar wird. Deshalb glaube ich auch, dass die Ingenieure weißen Kalk auf den Hang gestreut haben, um ihn zu verderben.

Das Schöne an der Maschine ist, daß das Kunststofftuch durchsichtig ist. Dadurch kann man den Himmel durch sie hindurchsehen. Und den WIND, den man an den Streifen im Himmel erkennt. Den Wind finde ich besonders schön. Jetzt kann man sich auch so richtig vorstellen, wie erfrischend es um die Köpfe der gelben und roten Flecke an der Horizontlinie des Hangs weht. Vielleicht sind das auch die INGENIEURE IN IHREN FARBIGEN OVERALLS. Und sie genießen gerade, denn die Arbeit ruht ja auch offensichtlich, einen SONNTAGSSPAZIERGANG.

Eigentlich sind auch die Ingenieure KEINE WIRKLICH BÖSEN MENSCHEN. Denn eigentlich mögen die Ingenieure die großen Städte gar nicht, in denen ja schon alles zugebaut worden ist. Deshalb lieben die Ingenieure auch das freie Land, wie z.B. diese Hanglandschaft. Hier haben sie nämlich noch Platz, um ihre Pläne zu verwirklichen. Und es ist auch schön, dass sie große Maschinen bauen, durch die hindurch man den Himmel sehen kann. Wahrscheinlich lieben alle Ingenieure besonders den Himmel, weil sie alle VOM FLIEGEN TRÄUMEN. Das Schlechte ist nur, daß die Ingenieure, wenn sie ihre Pläne von Bauarbeitern ausführen lassen, Landschaften wie zum Beispiel diese Hanglandschaft kaputtmachen.

Allerdings weiß man noch gar nicht, wie diese Geschichte ausgeht. Während die Ingenieure noch gegen den Wind ankämpfen, um auf den großen Hang hinaufzugelangen, geschieht AUF DEM HANG EIN WUNDER. Und vielleicht sehen es auch die Ingenieure, wenn sie oben auf dem großen Hang angekommen sind. Dort oben nämlich fliegen nämlich die Samen gar nicht in den Trichter des Saugsacks hinein, obwohl man den Wind ja deutlich an den Streifen im Himmel erkennen kann. Man kann auch deutlich sehen, daß es sich dabei nicht um einen Luftwirbel handelt. Denn die Samen stehen überall in der Luft einfach still. Und daß sie EINFACH STILLSTEHEN, das ist das Wunder. Und vielleicht ist es auch ein Warnzeichen der alten Indianer, die über ihre Gräber wachen, an die Ingenieure. Und vielleicht denken die Ingenieure, wenn sie den Hang hinaufgekommen sind, und das Sehen, einmal darüber nach.

Tilman Raabke, Dramaturg, Berlin

Thomas Wöhrmann
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Atelier Thomas Wöhrmann